BAUM + KREUZ

BAUM

titelbild baum+kreuz

KREUZ

eine Annäherung

Dieter Boeminghaus

 

1992

LANDSCHAFT + ORTSCHAFT 

ORTSCHAFT + LANDSCHAFT

Als seien beide Teile wesentliche Bestandteile des Zeichens selbst: Der BAUM steht für LANDSCHAFT und das KREUZ für den festen ORT, das Haus, das Dorf oder gar die Stadt.

So ist auch zu verstehen, daß wir BAUM + KREUZ in zwei so gegensätzlichen Bereichen vorfinden. Ja, man kann sogar sagen, es gibt kaum ein Gestaltungselement, das besser in diese Umgebung paßt.

Doch betrachten wir  nur das Kreuz, das reine Kunstwerk, die Plastik alleine ohne den Baum an seiner Seite, so stellen wir uns eher ein belebtes Umfeld vor.

Ein Bildstock tut sich schwerer, seine volle Wirkung zu entfalten, wenn man ihm den gebauten Raum entzieht und damit den unmittelbaren Hintergrund nimmt, vor dem es duch durch den es doch eigentlich erst so recht zur Wirkung kommt.

Es gibt wenig überzeugende Beispiele, in denen eine Plastik frei und allein in der Landschaft steht. (Meistens handelt es sich dann um größere Monumente.)

Unzählig dagegen die Beispiele, in denen die Plastik, der behauene Stein in Verbindung mit Bäumen eine größere, selbstverständliche Einheit bildet.

An diesem Anpassungsprozeß ist allem Anschein nach vornehmlich der lebendige Baum beteiligt.

titelbild baum+kreuz

Offenbar kann er durch die richtige Auswahl der Art und der Anzahl seiner Exemplare diese Anforderungen trefflich meistern.

Der Spielraum scheint gar nicht so groß zu sein. In der Regel sind nur wenige Bäume um das Kreuz gruppiert, einer, zwei, seltener schon drei oder viel, in einzelnen, besonderen Fällen auch mal mehr. Doch überschreitet ihre Zahl nie den auf einen Blick feststellbaren Umfang.

Größste Einfachheit und Klarheit herrschen vor. auch ihre Anordnung ist sofort einzusehen. Aus ihrer Stellung zum Kreuz wird kein Geheimnis gemacht. Sie bezieht sich in aller Regel auf die Ausdrucksformen des Standbildes selbst, verstärkt dessen Ausrichtung (links-rechts, vorne-hinten), bildet einen ruhenden Pol (Kreis oder Quadrat) oder verstärkt einfach seine gestreckte Haltung nach oben (und unten! Das Wurzelwerk spiegelt unsichtbar noch einmal die alles überragende Größe und Höhe.)

Auch die Form, in der uns hier der gepflanzte Baum entgegentritt, die Baumart selbst birgt keine unbekannte Erscheinung. Hier herrscht ebenfalls Klarheit und Einfachheit vor Vielfalt. Meist finden wir nur eine bestimmte Sorte und es scheint so, als sei auch sie mit besonderer Sorgfalt und mit Bedacht ausgewählt, denn man hat nicht den Eindruck, etwas Unpassendes, Fremdes, Unbekanntes schaffe sich an dieser Stelle Platz. Im Gegenteil, auch wenn man nicht sogleich sagen kann, um welche Baumart es sich letztlich handelt, ob Linde, Eiche, Kastanie oder Buche, "irgendwie bekannt kommt sie einem schon vor". Sie schafft es bereits in großer Entfernung, so etwas wie Vertrautheit zu erwecken, die noch weiter wächst, je näher wir BAUM + KREUZ kommen. Als würde unser erster Eindruck bei Annäherung durch weitere Wahrnehmungen unterstützt.

Von einem ganz bestimmten Punkt aus können wir den Baum nicht nur sehen, sodnern auch hören, den Wind in den Zweigen, die Vögel – oder auch fühlen, wenn wir plötzlich in seinen bewegten Schatten treten und die Kühle, erst an den Beinen, dann am ganzen Körper, besonders im Gesicht – wenn wir uns noch weiter nähern, spüren wir den Duft, der von den Blüten, den Blättern oder dem Stamm ausgeht, an den wir uns schließlich lehnen und mit dem Rücken und den Händen die Rinde abtasten. –

So bestätigen nacheinander all unsere Sinne den ersten, den richtigen Eindruck.

Und wir fühlen uns unwillkürlich durch den großen Baum angezogen.

Die Stelle, an der neben die erste Wahrnehmung durch das Auge eine zweite tritt, die durch das Ohr z.B., ist der Beginn eines besonderen Bereichs, der BAUM + KREUZ umgibt, wie ein Kreis, mehr wie ein Saum, der sich laufend ändern kann je nach Windrichtung und Sonnenstand. Tageszeit und Witterungseinflüsse und die Jahreszeiten nehmen direkt Einfluß auf die Wirkungsweise des Baumes und die Art, wie wir ihn wahrnehmen.

Jetzt wird auch klar, warum ein Baum erst ab einer bestimmten Größe auf den Menschen so nachhaltig einwirkt. Nicht nur der optische Eindruck ist gewaltiger geworden, auch alle anderen Sinne sprechen viel eher und deutlicher an.

Die Auswahl des richtigen Baumes, abgestimmt auf die Fähigkeit, frühzeitig möglichst viele unserer Sinne anzuregen und zum Erwachen zu bringen, zeichnet seine ganz besondere Eignung aus für die Partnerschaft zwischen BAUM + KREUZ.

 

GESTERN + HEUTE

HEUTE + GESTERN

BAUM + KREUZ, wenn es denn groß und einprägsam in Erscheinung tritt, ist stets ein älteres Zeichen. Doch muß es nicht der Vergangenheit angehören, einer Zeit also, an die sich niemand mehr erinnern kann. Die Beispiele aus der Jugendzeit der älteren, noch lebenden Leute haben nach fünfzig oder sechzig Jahren auch schon eine stattliche Größe. Der Umfang der Bäume und die Formensprache des Kreuzes, der Steine, die damals passenden Worte dazu, das alles macht BAUM + KREUZ zu einem Zeichen von gestern. Es sind Zeugnisse ihrer Zeit.

titelbild baum+kreuz

Das Kunstwerk ist in unseren Augen bereits veraltet.

Frisch und neu und unverbraucht dagegen der Baum dazu, ist er doch am gleichen Tage gepflanzt als der Stein geschlagen und aufgesetzt wurde. Der Stein, das Kreuz veraltet, der Baum reicht mit der zeit, ja, hat heute erst sein Plansoll erreicht. So groß wie  heute war er damals nur gedacht, geplant, gezeichnet, ein großer Kreis über dem Stein, die Idee eienr gewaltigen Krone, auf dem Papier, in geeignetem Maßstab, koloriert, damit man sich besser etwas darunter vorstellen kann: "In fünfzig bis sechzig  Jahren wird die Kastanie etwa diese Ausmaße haben!"

Zuerst müssen viele "Ja" zu dieser Vorstellung sagen und vor ihrem geistigen auge sehen, was ihnen angedeutet wird, und zu träumen beginnen. Nur so kann etwas Wirklichkeit werden!

Heute ist es soweit, die Ziele von damals haben sich erfüllt, der Baum hat sein gewünschtes Volumen erreicht. Nicht ewig, aber noch lange Jahre bis weit ins nächste Jahrtausend wird es so sein. – Aber dann?

Wenn die Menschen, die diese Zeichen zu ihrer Jugendzeit setzten, längst gestorben sind, werden ihre Bäume und Steine weiterwirken. Aber dann, wenn die Menschen, die jetzt jung sind, alt sein werden, welche Zeichen ihrer Zeit werden dann zur Reife gelangen? Werden die heute gepflanzten Bäume dort, wo sie aufgestellt wurden, in Ruhe groß, mächtig und alt werden können? Und welche neuen Zeichen und Worte im Stein werden für ihren Schutz, ihre Sicherheit und für ihre Einheit sorgen?

bild 3 baum+kreuz

Der Gekreuzigte, das Leid, die Pein, die bildhafte Darstellung solte sich heute nicht allein auf das alte Motiv beschränken. Wörtlich genommen meint das Symbol BAUM + KREUZ, Natur und Kultur, die Einheit, die beide Seiten gemeinsam bilden, die im Kreuz noch einmal ihre symbolische Entsprechung findet, Treffpunkt von waagerechten und senkrechten Linien. Gemeint ist der Mittelpunkt, in dem sich die Gegensätze treffen. Er bezeichnet das Dasein.

Das Kreuz, es taucht überall auf, in jedem Fenster, in jeder Senkrechten, die eine Waagerechte schneidet, in den Hochspannungsmasten und Fernsprechtürmen. Dies sind die neuen Kreuze der zeit, sie besetzen jetzt die Gipfel und sind bis in den fernsten Winkel zu sehen.

Und was wird aus dem Stein?

Da die Zeit immer schneller rast und die Bäume anfälliger sind, aber genauso langsam wachsen wie früher, sind die steinernen Zeichen unserer Zeit oft viel größer und mächtiger als früher, als könnten sie auf diese Weise den jungen Baum vor Schaden bewahren, bis er eines Tages die geplante Größe hat.

Alles kommt darauf an, daß wir uns auch heute BAUM + KREUZ vorstellen können und uns wünschen, sie würden in fünfzig bis sechzig Jahren ihr Ziel erreichen und wir könnten dann sagen, so haben wir damals geplant, gedacht und gehofft.

DENKMAL + MAHNMAL

MAHNMAL + DENKMAL

Standbilder, Gedenkstätten, Brunnen, Kunstwerke, Ruinen, Reste, Funde, Denkmäler und Mahnmäler in vielfältiger Art und Form bereichern Stadt und Land, beziehen sich auf bestimmte Ereignisse, Taten, Schicksalsschläge, Unglücke, erinnern, mahnen, wollen ein Vergessen verhindern, das Alte, die Erfahrungen in das Leben jetzt einbinden, gehen davon aus, daß Geschichte wichtig, daß eins auf dem anderen aufbaut und das Wissen darum uns heute und für die Zukunft dienlich sein kann.

Es ist nicht damit getan, ein beliebiges Mal zu errichten, einen Stein, die Tatsachen in Worte zu fassen, Tag, Ort, Jahr, die passenden Gedanken dazu, ein Zitat aus einem wichtigen Text, alles einer Tafel anzuvertrauen, Bronze, Marmor, glatt, haltbar. – Die Tat, der Mensch, das Geschehen, das Werk, an das erinnert, gedacht, gemahnt werden soll, bleibt nicht dadurch lebendig und lange im Gedächtnis haften, indem ich es benennen und die Sprache, jeden Buchstaben einzeln einem dauerhaften Material überantworte. Auch der bildhafte ausdruck, die Geste, Gebärde, das getreue Abbild, der Plan, eigentlich alles, was dazu beiträgt, in einer Zeichensprache Trauer und Glück und Größe und Wahrheit und Wirklichkeit und Reiz und Anmut zu übertragen, es rundet nur das Bild ab, das man sich macht, verhindert nicht, daß jene Tatsache, an die erinnert wird, inzwischen vergangen ist, früher einmal wahr war. Doch jetzt, heute ist eine andere Zeit, die Zeichen haben sich geändert für die gleiche Wirklichkeit von einst.

Die Leute damals, als in einem einzigen Moment vielen von ihnen gleichzeitig klar und wesentlich wurde und es sie so sehr beeindruckt und erschüttert hat, daß sie glauben, es sich selbst und einer späteren Zeit zeigen und nachdrücklich mitteilen zu müssen und den Mut fanden, diese Überzeugung durch Taten folgen zu lassen und es für das Richtige hielten, der Wahrheit ein Zeichen zu setzen, von dem sie hofften, daß jeder es versteht, daß es die Herzen regt und für die Zukunft etwas bewegt —

Aber die Wahrheit, das Dasein, die Wirklichkeit läßt sich nicht ein für allemal fassen und festlegen, weder in Worten, noch im Bild.

BILD 4 baum+kreuz

Soll etwas lebendig bleiben und bedeutungsvoll, gibt es keinen anderen WEg, als es immer wieder neu zu erzählen in der Sprache der Landschaft, der Zeit.

Nur immer wieder neu erzählte Märchen behalten ihre Aktualität, Lieder, Musik, die immer wieder neu interpretiert wird, Gesang, eigentlich alles, was sich mit der Zeit ändern, verwandeln kann.

BAUM + KREUZ, das Zeichen aus zwei Teilen, dem einen, dem Stein, dem festen, das gleich dem Denkmal den Anlaß, den Ausgangspunkt, einen Anfang markiert und dem anderen, dem Baum, dessen Natur es ist, sich der Zeit, den Jahren anzupassen mit jeder Faser, mit Form und Farbe, mit Klang und Duft, mit dem Material, Stamm, Rinde, Ästen, Blatt, Blüte, Früchten. Angemessen, ohne Umweg über das Denken, ergreift er unsere Sinne, seine Sprache ist universal und unmittelbar, jeder kann sie verstehen. Zusammen mit dem Baum wird das Mal nicht jeden vergangenen Tag an Ausdruckskraft verlieren, an Anschauung und Überzeugung. Der Baum, der nun untrennbar dazugehört, sorgt dafür, daß das Mal bereichert wird durch die Zeichen der Zeit, durch den Schatten, den lebendigen Hindergrund, durch die Bewegung, seine Reaktionen auf den Wind, den Regen und Schnee. Es kann auf ein Zeichen an seiner Seite rechnen, auf ein Symbol, das lebt wie der Betrachter, an den die Mahnung ergeht.

BILD 5 baum+kreuz

VERGANGENHEIT + ZUKUNFT

ZUKUNFT + VERGANGENHEIT

Das, was war, es reicht zwar in unsere Zeit heinein – bis auf den heutigen Tag, prägt das Jetzt als letztes Glied einer langen Kette, wird aber morgen schon anders sein.

Das einmal geschaffene, feste Ding, die Klarheit seiner Figur, ihre Schönheit, ihr Reichtum, die Vielfalt – hat es einmal Format gewonnen, zeichnet es sich deutlich ab, läßt es sich benennen, ist es auf der Höhe seiner Gestalt. sind wir geneigt, diesen Zusatnd anzuhalten, das Bild zu umreißen, einzufrieden, zu rahmen und das, was es jetzt für uns bedeutet, für wirklich und wahr zu halten und es für alle Zeiten zu bewahren.

Feste, schwere Dinge neigen dazu, standhaft zu sein, beharrlich, langsam und dauerhaft. Ist einmal der vorstellbare, wünschenswerte Zustand erreicht, soll sich daran nach Möglichkeit nichts mehr ändern.

An der Zukunft haben die festen Dinge nur bedingt durch ihre harte, alte Schale Anteil.

Ein Teil des Zeichens BAUM + KREUZ, der feste Stein, verkörpert seine Herkunft, die Vergangenheit.

BILD 6 baum+kreuz

Die große Pflanze auf der anderen Seite, das Gegenteil vom Stein, sie gedeiht, blüht, wächst, bewegt sich, reagiert auf äußere Einflüsse, verändert sich jeden Augenblick, gibt so ständig Kunde von der Welt, wie sie jetzt ist und unser Dasein färbt und reicht auf diese Weise in die noch unbekannte Zukunft hinein.

Der Baum wird immer sein.

Doch der Stein an seiner Seite gehört als eindeutiges Kreuzzeichen der Geschichte an, weist nach hinten, auf das, was einmal wahr war.

Wenn es nicht gelingt, ihn auf lange Sicht mehr seinem Lebensgefährten, dem Baum an seiner Seite, zu verbinden und dem erklärten Ziel, der Einheit, der Vereinigung, dem Ausgleich aller Gegensätze, schrittweise näherzubringen, dann wird BAUM + KREUZ als lebendiges Zeichen, das dem Menschen etwas zu beeuten hat, gänzlich verschwinden.

Erwarten wir das NEUE.

Sehnen wir es herbei, auch wenn wir uns noch nicht vorstellen können, wie es in Erscheinung treten wird. Das NEUE, es wird MEHR sein als jetzt ist, und das Zeichen, das uns die Zukunft verheißt, BAUM + KREUZ, es wird uns diese Zukunft verdeutlichen helfen.

BILD 7 baum+kreuz

SUCHEN WIR NACH NEUEN ZEICHEN:

Was kann das sein?

Etwas, das die Frage, die Wunde offenhält, bis sie irgendwann von alleine heilt, Schorf entsteht, fällt ab, aber die Narbe bleibt.

Etwas, das man unterwegs schon von weitem sieht, über den Wipfeln, über den Firsten, gegen den hellen Himmel.

Etwas, das man nicht an jeder Stelle betreten, berühren und einsehen kann.

Etwas, das nicht jeder versteht, doch jeden bewegt.

Etwas, das sich verändert, das anfängt, altert, endet.

Etwas in der Natur, im sommer anders als im Winter, das ihren Gesetzen gehorcht.

Etwas Unvorhersehbares.

Etwas Unverwechselbares, das die Stelle markiert, an der es passiert.

Etwas, das zu Recht den Namen trägt:

 

DAS NEUE.

ANFANG + ENDE

ENDE + ANFANG

BILD RÜCKSEITE baum+kreuz

DAS ENDE IST ANFANG.
IM ANFANG IST DAS WORT
UND DAS WORT WOHNT IN EUCH.
SUCHT ES, SUCHT ES IMMER.
WER SUCHT, DER FINDET.

 

Wie hat es angefangen?

Wo?

Beim Anblick der großen, fruchtbaren Landschaften!

Gepflügter Boden, braune Furchen im Frühjahr bis zum Horizont, im Sommer das wogende Getreide, Zuckerrüben, Gemüse. —

Es gibt Aussichten, da steht meilenweit kein Baum, kein Strauch, als sei nur die Feldfrucht etwas wert von einem Horizont zum anderen. —

Alles, was hoch hinaus will, was sich erheben möchte, wird getilgt. Hier entsteht aus Zufall kein Anhaltspunkt. Alles ist geplant, einsehbar nützlich, faszinierend klar – und leer, ausgeräumt, als handele es sich hier nur noch um Fläche, Nutzfläche von hohem Wert.

 

(Wir brauchen den Blick nicht erst nach Westen oder osten wenden, um die Endlosigkeit noch intensiver zu erleben, Überall in unserm eigenen Land gibt es diese flachen, fruchtbaren Landschaften, es ist im Norden wie im Süden das gleiche Bild.)

(Wenn wir auf der Autobahn länger in eine Richtung fahren und alle Stunde das Bundesland wechseln und die Klangfarbe und Ausdrucksformen der Nachrichtensprecher und voll Überraschung feststellen, wie die gleiche Meldung immer wieder anders dargestellt werden kann, vertrauen wir gleichzeitg darauf, daß die Fahrbahn, auf der wir schnell dahinrollen, sich nicht ändern wird. Technik macht es möglich.

Alles ist inzwischen anders geworden, die Ortsnamen, die Zeit, der Sonnenstand, das eigene Befinden, Hunger, Durst, Müdigkeit – allein die Straße, auf der wir seit Stunden dahinrollen, bleibt auch morgen die gleiche und die flachen, endlosen Landschafen, die sie rechts und links begleiten, auch.) —

Doch diese Einsicht täuscht. Bei genauerer Betrachtung ist der Anblick nicht gar so reizlos.

Und in der Tat, das ruhelose Auge nimmt bei seinem ständigen Schweifen einige wenige Punkte wahr, an denen es sich festzuhalten versucht.

Nicht selten sind es vereinzelte Bäume, die an bevorzugter Stelle am Horizont und gegen den hellen Himmel mächtig groß erscheinen und von uns einfach angeschaut werden müssen.

Zufällig, das haben wir längst begriffen, rein zufällig, treten diese markanten Punkte in der so "freien" Landschaft nicht in Erscheinung. Sie stehen dort nicht ohne Grund.

Bewußt einmal diese Frage aufgeworfen, gelingt es irgendwann, auszuscheren, abzubiegen, sich anzunähern und anzuhalten.

Der Baum steht da, wo er schon lange steht, tatsächlich nicht grundlos. auch ist es oft nicht nur ein Baum, sondern zwei oder drei. Ihre riesigen Kronen sind mit den Jahren zusammengewachsen, in ihrer Mitte ein Kreuz, ein Stein als Sockel, als Verbindung zur Erde, Worte darin, Jahreszahlen verraten manchmal den Anlaß, der damals, vor oft mehr als hundert Jahren zu der Tat paßte und dieses Zeichen setzen ließ.

Egal, was damals genau geschah, es ist längst verjährt, vergessen. Geblieben ist der Baum und sein Stein, der weithin sichtbare, dunkle Punkt in der Landschaft, erhalten, umpflügt seit mehr als 100 Jahren, einige wenige Quadratmeter ungenutztes Land.

Offenbar ist er doch etwas wert. Würde er sonst so lange bestehen?

Allein, Baum allein, Stein allein, beide allein haben allerdings keine Chance!

Doch zu zweit, BAUM + KRUEZ zusammen, das sieht man ein, das ist mehr, das ist ein deutliches Zeichen.

 

 

Beides, das sind die zwei Seiten einer Sache, wie Tag und Nacht, wie Südpol und Nordpol, zwei Gegensätze, und doch ein Ganzes, Natur und Kultur, die Erde und das, was der Mensch aus ihr macht, Gewachsenes und Geformtes, Gefühltes und Gedachtes:

ANFANG + ENDE,
STRASSE + PLATZ
INNENDRIN + AUSSENVOR
UNTERWEGS + DASEIN,
VERÄNDERN + BEWAHREN,
STANDPUNKT + FLUCHTPUNKT,
LANDSAHFT + ORTSCHAFT,
GESTERN + HEUTE,
DENKMAHL + MAHNMAL,
VERGANGENHEIT + ZUKUNFT.

bild 8_ baum+kreuz

Hier draußen, in der freien Landschaft, erscheint BAUM + KREUZ bisweilen als bedeutendes Natur-Denk-Mal und mahnt den Sinn der Menschwerdung an:

Vereint die Gegensätze! Laßt beide Seiten zu! Schaft die Einheit!

Doch nicht nur im weithin einsehbaren Land, einmal aufmerksam geworden, spürt man das Merkmal BAUM + KREUZ auch an vielerlei Orten auf, nur sticht es an jenen Stellen nicht so deutlich ins Gesicht. Und dennoch, neben all den gewöhnlichen Bäumen, Häusern, Gärten und Gedenksteinen, deren Vorhandensein und Anordnung uns so wahllos, so zufällig vorkommt und einzig dem Geschmack verpflichtet zu sein scheint, muß uns BAUM + KREUZ wie ein Ausrufezeichen vorkommen, etwas, das jeder kennt und begreift, auch wenn er mit dem, was es zu bezeichnen gilt, nicht immer einverstanden ist.

 

DER TOD ABER SUCHT EUCH UMSONST —
ER FINDET EUCH NICHT MEHR.

 

Das Ende des Lebens, der Tod eines Menschen, die Erinnerung an ein tragisches Unglück, redliches Bemühen, der Trauer gebührend ausdruck zu verleihen — lauter anlässe, um abn geeigneter Stelle ein zeichen zu setzen:
BAUM + KREUZ
auch wenn nach Jahren der Grund in Vergessenheit geriet, der Baum wächst aus der Zeit heraus und wird auf diese Weise ein lebendiger Zeuge der Vergangenheit — und Anlaß, Anhaltspunkt für neue Formen der Erinnerung:
TOTENBRETTER,
das rohe Holz, auf dem der Leichnam zu Grabe getragen wurde, anschließend beim Tischler gehobelt, verziert, bemalt, beschriftet (Name, Geburts- und Sterbejahr, Ort, Beruf und die passenden Worte, ein Spruch, eine Weisheit, ein Zitat, ein Lied). Hing sieben Jahre lang an einer besonderen Stelle am Weg, an der Lebende täglich vorbei, vornämlich neben BAUM + KREUZ. Nach sieben Jahren war das Totenbrett vergilbt, die Schrift verblaßt und morsch, das Holz und der Leichnam im Grabe verwest, sagte man.

Trauer und Gedächtnis haben ein Ende. Die Reste werden am Tag nach Ostern verbrannt und er alte Platz frei für ein Neues.

 

DER RHYTHMUS DES MENSCHEN
IST SIEBENFACH.
SIEBZIGMAL KLOPFT DAS HERZ —
SIEBEN MAL ZEHN.

 

 

bild 8_ baum+kreuz

STRASSE + PLATZ

PLATZ + STRASSE

Straße, das ist Bewegung, Vorwärtskommen. Es gibt hier im Prinzip nur eine sinnvolle Richtung, nach vorn, und je schneller und bequemer und sicherer ich mich meinem Zielpunkt nähere, umso besser. Die Autobahn, die kreuzungsfreie Fahrbahn, mehrspurig, breit, gesichert, übersichtlich, möglichst gradlinig, das scheint dem Ideal Straße am nächsten zu kommen. Das ist das wahre Gegenteil von Platz. Kein Strich, keine Linie, ein Punkt, an dem die Bewegung endet, die Zeit still steht, der Mensch kein Ziel mehr verfolgt, und ankommen will, sondern, wenn er sich auf dem Platz bewegt, scheinbar sinnlos Kreise beschreibt, Ruhe herrscht vor, Verweilen. Diese beiden so gegensätzlichen Bereiche STRASSE und PLATZ sind auch Orte für BAUM + KREUZ. Und natürlich erlangen sie an den verschiedenen Stellen ganz unterschiedliche Bedeutung.

titelbild baum+kreuz

BAUM + KREUZ erwartet man in erster Linie auf einem Platz, hier meist sogar an wichtiger Stelle, raumbestimmend. Auf der Straße dagegen kann eigentlich kein Zeichen im Wege stehen, ist kein Platz für aufrecht raende Elemente. Diese markieren auch nur den Rand der Straße, die Stelle, an der die Straße aufhört. Sie stehen in dem schmalen Raum zwischen Straße und der angrenzenden Fläche, dem Acker oder Wald, dem Bürgersteig und Garten.

Für viele Autofahrer noch immer viel zu dicht neben der Fahrbahn.

Das muß aber nicht so sein. Man ist es gewohnt, nur das zum engeren Straßenraum zu zählen, was unmittelbar neben dem Straßenbaukörper steht. Doch alles, was der Fahrer unterwegs mit den Augen abstreift, gehört zum Fahren, zur Straße, und das reicht erfahrungsgemäß weit nach rechts und links, wenn es das Landschaftsbild erlaubt.

bild 3 baum+kreuz

Doch es ist nicht egal, was der Fahrer sieht, der ja jeden Wahrnehmungseindruck daraufhin interpretiert, ob er als Orientierungshilfe seinem Fahren dienlich sein kann. Der Baum hat sich in dieser Beziehung als ideale Größe erwiesen, zu der der Mensch schon immer ein besonderes Verhältnis hat. Wenn der Baum im Sichtfeld des Autofahrers dazu eine besondere Bedeutung erlangt, er ihn also gezielt wahrnimmt, weil er aus einem bestimmten Grund sich von den anderen Eindrücken (Scheunen, Gebäuden, Heuhaufen), unterscheidet, wird er eine lebenswichtige Orientierungshilfe.

BAUM + KREUZ übernehmen fast immer diese maßgebliche Funktion.

Nimmt der Fahrer bewußt oder unbewußt von ihnen Kenntnis in seinem Bestreben, alles, was er sieht, danach abzufragen, ob es sein Fahren sicherer machen kann, dann weiß er, daß dort, wo der Baum steht, keine Fahrbahn sein kann, aber dicht daneben. Er ahnt, daß dieses Zeichen an einem wichtigen Punkt steht. Wenn etwas passiert, kommt es wahrscheinlich von dort. Das eigene Fahren, das Schätzen der Geschwindigkeit, der Entfernung, die Annäherung anderer, entgegenkommender, sich seitlich annähernder Fahrzeuge, um das alles genau und ohne Fehleinschätzungen im Auge behalten zu können, braucht jeder Anhaltspunkte, zuverlässige Größen, nach denen man sich richten kann, die ihn im Ernstfall nicht im Stich lassen.

BAUM + KREUZ ist diese verläßliche Einheit, dieser seit der Kindheit bekannte Maßstab. Von der Wiege bis zur Bahre mache ich mit dem Baum meine Erfahrung (Möbel, Haus, Zaun, Spielsachen, Behälter, Stangen, Stöcke, Früchte, Säfte). In jeder Form, abgestimmt auf unsere Wahrnehmungsorgane, auf unterschiedliche Körperteile, ist der Baum dasjenige, lebende Objekt, mit dem der Mensch zeit seines Lebens auf allen Ebenen die unterschiedlichsten und nachhaltigsten Erfahrungen sammelt.

Das alles tut seine Wirkung, kommt zusammen und führt das Handeln, Denken und Fühlen in eine bestimmte Richtung.

Auch wenn man diese Erkenntnis nicht direkt und objektiv nachweisen kann, am eigenen Leib kann jeder spüren, daß er als Mensch zu den Bäumen eine ganz besondere Beziehung hat,  die immer dann besonders deutlich und stark wird, wenn das Zeichen, der große, alte Baum aus dem bunten Einerlei der Wahrnehmung herausragt.

In Form von BAUM + KREUZ spricht der Baum eine deutliche, allen verständliche Sprache.

INNENDRIN + AUSSENVOR

AUSSENVOR + INNENDRIN

Drinnen oder draußen, nur eine von beiden gegensätzlichen Positionen kann der Mensch einnehmen.

Zwischen diesen beiden Seiten pendelt er hin und her und mit den kürzesten Intervallen, die sein Leben bestimmen, den Atemzügen, scheint er die Grundlage für diesen Rhythmus gefunden zu haben.

Das eine geht nicht ohne das andere, kein Einatmen, ohne vorher augeatmet zu haben. Er kann auch nicht beliebig z.B. auf eine Seite verzichten. Und es ist von großer Bedeutung, daß der Mensch stets weiß, wo er sich befindet, damit er jederzeit zur anderen Seite aufbrechen kann.

Alles strebt danach, seine eigene Seite kenntlich zu machen, damit keine Verwechslung entsteht und die Ordnung hergestellt ist und auf diese Weise etwas aufbrechen und sich in Bewegung setzen kann. Das Leben beginnt mit dieser Entscheidung, dem ersten Atemzug, und es endet, wenn diese Ordnung aufgegeben wird, mit dem letzten.

BAUM + KREUZ, ein Draußenzeichen, eine nähere Bestimmung, die der Partner Baum einbringt. Darüber gibt es keinen Zweifel.

titelbild baum+kreuz

Das gehobelte Kreuz, der geschnittene Korpus, der gemeißelte Stein, ist eher ein Teil, der behaust sein möchte, unter einem Dach, idrgendwo innen länger seinen ursprünglichen Ausdruck bewahrt.

Draußen läßt es zu, daß die Natur seine Erscheinung verändert, es mit der Zeit immer wieder gepflegt und viel eher saniert werden muß, sich aber auch seinem Partner, dem Baum immer mehr annähert, ihm zu ähneln beginnt und gemeinsam altert.

Doch gibt es auch im Freien das Begriffspaar INNEN und AUSSEN.

Ist eine Fläche eingefriedet, wird der Unterschied offensichtlich. Vor oder hinter dem Zaun, innerhalb oder außerhalb der Mauer. —

Gibt es einen gebührenden Anlaß BAUM + KREUZ innendrin oder außenvor zu plazieren, wird man, wie bei jedem anderen Gegenstand auch, seine Gestaltgebung zu der Frage heranziehen: Wo bin ich, drinnen oder draußen?

Wie kann BAUM + KREUZ zu näheren Bestimmung eines Innenbereiches beitragen, eines Friedhofs z.B.?

BAUM + KREUZ bildet den Mittelpunkt, den Höhepunkt, die Wegbeziehung, die Himmelsrichtung, Sichtverbindung, Orientierungshilfe; denn es deutet an: hier ist vorne — dort hinten, links — rechts, oben — unten. Die Balken des Kreuzes, die Form des Steines, sein Aufragen und Anzahl und Platz der Bäume können den Raum gliedern und näher bestimmen.

BAUM + KREUZ ist ein Symbol, dem man sich gleichermaßen von allen Seiten nähern kann, das keinen eigenen Hintergrund braucht, sich nirgendwo wie ein Schrank anlehnen muß. Im Gegenteil, seine volle Wirkung entfaltet das Zeichen, wenn man die Freiheit hat, sich von allen Seiten annähern zu können und doch jeder Zeit weiß, wo genau im Raum man sich befindet.

BAUM + KREUZ trägt ebenso zu einer näheren Bestimmung der Stellen bei, die außen vor der Innenseite liegen.

Wo findet man den Eingang? Welche Stelle ist die Vorderseite? Von wo ist eine Annäherung erwünscht? Welcher Bereich ist der wichtigere?

BAUM + KREUZ ist eine Größenordnung für sich, die den ganzen Menschen als Maßstab vorführt.

bild 3 baum+kreuz

DASEIN + UNTERWEGS

UNTERWEGS + DASEIN

Morgens, "in aller Herrgottsfrühe" aufgebrochen, hoffen wir gegen Abend von unserer ganztägigen Wanderung zurückzukehren.

Was ist das Ziel, das Motiv? Warum nehmen wir immer wieder gern auch die Strapazen auf uns, die diese Betätigumng mit sich bringt?

Wenn der Grund nicht gleich am Anfang, im Aufbruch liegt und nicht am Ende, der erschöpften Rückkehr, ja dann kann es nur noch unterwegs passieren, weder vorher noch nachher, sondern mittendrin.

Dann kann es währenddessen Augenblicke geben, die außerhalb unserer Vorstellung und Zeitrechnung liegen, von denen man wohl hinterher sagen kann, sie waren da. In diesen Augenblicken war es besonders schön und wir haben total die Zeit vergessen. Nicht selten dient diese Erkenntnis auch als Entschuldigung für die unplanmäßige Verspätung.

Unterwegs zwar und für einen kurzen Moment, eigentlich ganz außerhalb unserer Zeitvorstellung, gleichsam zwischen zwei Augenblicken hat sich etwas abgespielt, das kann man nicht beschreiben, aber es war da, hat uns ergriffen. Trauen wir uns, ihm einen Namen zu geben, sagen wir einfach, das Dasein hat uns berührt.

Wenn wir später danach gefragt werden, haben wir für alles andere Worte, doch nicht für das Wesentliche. Wir loben den gepflegten Weg, das ausgezeichnete Wetter, unsere blendende Verfasung, die klare Sicht, Kaffee und Kuchen. – Wir wollen den Spaziergang möglichst schnell wiederholen, so gut hat er uns gefallen. Aber eigentlich möchten wir nur eins: Immer wieder Dasein erfahren.

Doch wir wissen auch, dieses klare Bewußtsein blitzt nur zuweilen auf und ganz unerwartet. Und länger ist dieser grelle Lichtstrahl auch gar nicht zu ertragen, der für Bruchteile von Zeit alles um uns erhellt und den weiteren Weg. —

So sehr wir diese Form der Erleuchtung und Erkenntnis auch herbeiwünschen, diese sichtbaren und spürbaren Höhepunkte in unserem Leben, so können wir uns nicht vorstellen, daß unsere Existenz ausschließlich aus solchen Glanzpunkten, aus purem Dasein besteht. Lange können wir den Zustand des wahren Glücks noch nicht ertragen.

Um den nächsten Gipfel zu erlangen, führt der Weg zunächst durch ein dunkles Tal.

Raum für den Inhalt des neuen div-Tags
titelbild baum+kreuz

Auf der Erde hat der Mensch diejenigen Stellen in der Natur, die durch ihre besondere Form symbolisch den Begriff des Daseins bildhaft Ausdruck verleihen gleichsam angestrichen. Ein Kreuz markiert den Gipfel des Berges, das Symbol für die Spitze, das Höchste. Wir wollen immer wieder den Gipfel erklimmen und wissen doch aus eigener Erfahrung, daß wir, einmal am Ziel, nicht lange dort oben bleiben können und irgendwann wieder ins Tal hinabmüssen.

NUR AUF DEM GIPFEL DEINER FRAGEN FINDEST DU ANTWORT.

Nur wenn die Ziele im Leben hoch sind wird auch das, was wir mit ihrer Hilfe verwirklichen wollen groß.

Aber auch in flacheren Gegenden gibt es besondere Punkte, die mit ihrer Ausdruckskraft auf etwas Besonderes schließen lassen, auf eine höhere Bedeutung verweisen, eine große Quelle z.B. die runde Stelle im Boden, das dunkle Loch, aus dem etwas Lebenswichtiges aus dem Untergrund ans Helle tritt.

Es ist auch der Punkt, auf den man verweisen kann, an dem sich ein Wechsel vollzieht, das eine aufhört und das andere beginnt.

Quelle, ein Bach entspringt, Quelle, doch noch ist er nicht da, Quelle, aber auch kein Felsen mehr, die besondere Stelle zwischen beiden, nicht selten mit zusätzlichen Zeichen besetzt: Steinen, Platten, Bäumen, Namen. —

Oft ist das Dazwischen, diese besondere Stelle nicht so deutlich erkennbar, besonders wenn sie mehr gedacht, gemacht und nicht gewachsen ist – Grenzen, die nicht mit einem Flußlauf zusammenfallen, alte Gemeindegrenzen in der Flur — bis hierher und nicht weiter — dort drüben faängt das andere an, dazwischen, als Hilfe für den kleinen Grenzstein, den man leicht versetzen kann: BAUM + KREUZ, bezeichnet den Punkt, an dem eins endet und eins beginnt, den Wendepunkt.

VERÄNDERN + BEWAHREN

BEWAHREN + VERÄNDERN

Hat sich das Alte bis auf den heutigen Tag erhalten und sich gegen alle Wiederstände der Zeit durchsetzen können und haben wir seinen wahren Wert als Zeugnis einer vergangenen Zeit erkannt, so sind wir geneigt, das Alte zu bewahren. Und das bedeutet heute in der Regel, daß versucht wird, den ursprünglichen Zusatnd wieder herzustellen, und dafür weder Mühen noch Mittel scheut.

Auch BAUM + KREUZ wird als Denkmal, als erhaltenswerter Gegenstand der Volkskunst erkannt und mit ähnlicher Sorgfalt bedacht, die man anderen schützenswerten Baudenkmälern entgegenbringt. Meist läßt sich der vorgefundene Stein reinigen und restaurieren. Bei älteren Beispielen sind die Bäume dazu entweder sehr alt und beschädigt oder sie sind aus Altersschwäche gestorben oder durch Blitzschlag oder sie haben ein Unwetter nicht überlebt. Die Behandlung der altersschwachen Bäume zögert das Problem ein wenig heraus, wirft zugleich ein Streiflicht auf das kulturgeschichtliche Phänomen BAUM + KREUZ, auf die Beantwortung der Frage, welchen Zustand es zu bewahren gilt.

titelbild baum+kreuz

Dabei zeigt sich erneut, daß das Zeichen BAUM + KREUZ mit zunehmendem Alter mehr im Leben steht.

Der Stein, das Kreuz, der von Menschenhand geformte Teil des Symbols, die eine Seite, sie verweist auf eine andere Zeit, auf den Ursprung, auf die Vergangenheit, die Geschichte. Kundige können der Handschrift und dem Wortlaut entnehmen, wann alles seinen Anfang genommen hat. Meist war der Grund ein Geschehen, ein Schicksalsschlag, der einen bestimmten Menschen traf.

Der Baum dazu andererseits beginnt genau an diesem Tag mit seinem Dasein, seiner Bestimmung. Es liegt in seiner Natur, ständig die andere Seite, die Gegenwart zu demonstrieren. An ihm läßt sich getreulich ablesen, was die Stunde geschlagen hat, welche Jahreszeit vorherrscht oder wie zur Zeit mit unserer Umwelt umgegangen wird.

So gilt es, auch die andere Seite im Zeichen BAUM + KREUZ, den Baum, das Zeichen der Zeit, das Spiel der Welt zu bewahren.

Alte Bäume erhalten, so lange es eben geht!

Ja und dann?

In der Regel fällt irgendwo der erste Baum, wenn mehrere da sind, das reißt ein riesiges Loch in die alte Form, die sich nicht selten eindrucksvoll gegen den hellen Himmel abzeichnet. (Jeder kann sich noch gut daran erinnern.) So versehrt bleibt BAUM + KREUZ lange Jahre, dann fallen auch die anderen Bäume.

Das Kreuz, der Stein ohne Baum ist nicht halb, er ist entzweit fast ganz verloren.

Er bedarf der besonderen Fürsorge des menschen, wenn er jetzt noch gerettet werden kann. Werden erst jetzt neue Bäume gepflanzt, wird das nunmehr unscheinbare Zeichen sehr lange des Schutzes bedürfen. Es fängt eben wieder klein an. Und wie bei den vielen tausend anderen Kreuzen in all den vergangenen Generationen ist es fraglich, ob es nach vielen Jahren wieder die Bedeutung erlangen wird, die es einmal hatte. Im Gegenteil, die Wahrscheinlcihkeit ist groß, daß es über kurz oder lang ganz verschwindet.

Auch die Größe und Bedeutung des Zeichens sollte bewahrt werden.

Und das kann heißen, schon Jahre bevor die alten Bäume absterben, sollten neue gepflanzt werden, die zu gegebener Zeit bereit sind, d.h. groß und mächtig und stark genug sind, die Nachfolge anzutreten und Spielbild unserer Welt zu sein.

Offenbar kann man das nur ab einem bestimmten Alter, und auch Größe und Würde im Ausdruck gehören dazu.

Weisheit verkleidet und in Gestalt eines großen alten Baumes.

Der genaue Standort des Baumes, die Stelle am Boden, festgewachsen durch ein Wurzelwerk, das genau so mächtig ist wie das hohe Laubdach darüber, der unterirdische Baum, die nicht sichtbare Hälfte (damit er so herausragend sein kann, wurzelt er so tief), diesen besonderen Ort, an dem das Zeichen BAUM + KREUZ überdauern, altern und groß werden konnte, gilt es auch zu bewahren. Denn nur hier, an dieser Stelle, auf diesem Grund und Boden konnte es geschehen — er ist offenbar ohne unsere Kenntnis maßgeblich an dem Ereignis BAUM + KREUZ beteiligt.

Was geschieht nun, wenn diese Stelle anderen Zielen geopfert wird (Flurbereinigung, Straßenbau)?

 

Die Bäume werden gefällt, der Stein kann bleiben, doch nicht hier, er läßt sich leicht vom Boden lösen, versetzen.

Als wenn der Ort einerlei wäre, ohne Wichtigkeit und Wert wird der Stein verlegt, aus dem Weg geräumt und an einer Stelle gelagert, wo er nicht stört und Platz genug ist für seinesgleichen, irgendwo auf dem Friedhof, vielleicht in einer Grünanlage, am besten am Rand der Bepflanzung, damit er beim Mähen nicht im Wege steht. Hier kann er in Ruhe unbemerkt die Zeiten überdauern. Für das Museum ist er meist zu schwer und zu wenig wert.

Mit dieser Form von Bewahrung wird zwar die Figur, der Stein erhalten doch nicht seine Bedeutung. Läßt sich das Kreuz nur retten, indem es von dem verlorenen Standort entfernt wird, dann kann seine wahre Bestimmung und Bedeutung nur durch wirkliche Veränderung erhalten werden.

Es sollte ein neuer Ort gefunden werden, eine wichtige Stelle, an der der alte Stein zusammen mit neuen Bäumen zum großen Symbol werden kann.

Wie dieser Ort beschaffen sein sollte, um sich als geeigneter Standort für das Zeichen BAUM + KREUZ zu erweisen, läßt sich mit Sicherheit nicht beschreiben. Es liegt in der Natur diese Zeichens, daß es an jeder Stelle eben seinen eignen Grund und Ausdruck findet.

Doch es lassen sich Aspekte aufzählen,
denen BAUM + KREUZ gerecht werden kann:
Es liegt am Weg —
es ruht auf einem Gipfel, einer Kuppe —
es markiert eine Straßengabelung,
eine Ecke, eine Einfahrt —
es braucht Platz (jedoch weniger als man erwartet ) —
es ist rundum einsehbar —
es hat Zeit oder es hebt sie auf —
es bezeichnet einen Punkt —
es braucht einen guten Grund —
es nennt Anfang und Ende —
es ist dazwischen, unterwegs, inmitten —
es findet sich überall —
es verweist auf gestern und deutet auf morgen —
es ist ein Ausdruck von Dasein —
es existiert nicht ohne Anlaß.

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STANDPUNKT + FLUCHTPUNKT

FLUCHTPUNKT + STANDPUNKT

Bisweilen gleicht unser Lebensweg einer Fahrt auf hoher See. Weit und breit fehlen Anhaltspunkte, die uns Aufschluß geben könnten über unseren Standort.

Wir können nachts die Gestirne zur Hilfe nehmen und tagsüber den Stand der Sonne. Wichtig ist, wenn wir schon nicht wissen, wo wir genau sind, daß uns der Zeitpunkt bleibt als gekannte Größe. Wir bauchen irgendetwas Festes, worauf wir uns beziehen können. sonst scheinen wir gänzlich verloren.

Der rechte Weg, auf dem wir uns wähnen, von dem wir nicht abweichen wollen, ist begleitet von sicheren Anzeichen, die in jeder Karte vermerkt sind.

STANDPUNKTE, FLUCHTPUNKTE, Seezeichen, Meilensteine des Geistes, tauchen sie endlich am Horizont auf, treten alle Berechnungen in den Hintergrund. Man kann sehen, wo man steht, und das scheint wirklicher zu sein als jede weitere Überlegung.

Wir bedürfen dieser Wahrzeichen auf unserem täglichen Weg, jener Punkte, die immer auf Neue bei ihrem Auftauchen unser Dasein bestätigen.

Damit sie für uns diesen Dienst verrichten können, ist es nötig, daß wir sie sogleich unmißverständlich erkennen. Ihre herausragende Stellung kann nur wahrgenommen werden, wenn sie sich in jeder Bezeihung deutlich von ihrem Umfeld abheben.

BAUM + KREUZ

Jedesmal, wenn wir auf unserem Weg jene Stelle passieren, die sie einnehmen, den Punkt fixieren, an dem sie festhalten, besteht die Gewißheit, daß wir wirklich dort ankommen können, wohin wir einst aufgebrochen sind.

titelbild baum+kreuz